02. August 2018

Sorgsamer miteinander umgehen

Als ich mich auf dem Stadtparteitag zur Wahl als Delegierter stellte, versprach ich den Dresdner Genossinnen und Genossen, mich diesmal auf dem Parteitag auch zu Wort zu melden und meine Meinung zu den gegenwärtigen Auseinandersetzungen in der Partei zu sagen. Diese Auseinandersetzungen waren auf dem Parteitag auch tatsächlich ein Diskussionsschwerpunkt, sowohl in der der Generaldebatte, als auch in einer zusätzlich beantragten Debatte nach Sahra Wagenknechts Rede. Allerdings gab es einmal mehr als sechzig und einmal weit über hundert Wortmeldungen, aus denen die jeweils rund zwanzig Rednerinnen und Redner ausgelost wurden. Mir war das Losglück leider nicht hold, ich nutze aber diese Stelle, um meinen nicht gehaltenen dreiminütigen Redebeitrag wiederzugeben.

Liebe Genossinnen und Genossen!

Ist es denn wirklich so, dass in der Linken zwei Frauen miteinander ringen – weil die Eine aus Gründen der ökonomischen Vernunft und Verantwortung für kleinen Leute die Zuwanderung begrenzen und die Grenzen kontrollieren will, egal welche Konsequenzen das für die Flüchtlinge hätte; während die Andere getreu den sozialistischen Idealen und getreu dem Parteiprogramm den Flüchtenden dieser Welt helfen will und dabei die sozialstaatlichen Errungenschaften in Deutschland und die Wählerakzeptanz der LINKEN aufs Spiel setzt?

Ist es wirklich der Streit führender Genossinnen über diese Frage, verbunden mit persönlicher Animosität und Rivalität? Als genau das wird es seit Monaten inszeniert und alle, alle machen mit.

Sowohl die außenstehenden Betrachter, die Journalisten, als auch die innerparteilichen Diskutanten und erst recht natürlich die Kommentatoren in den sozialen Netzwerken. Am Ende sogar, in diese Rollen gedrängt, die beiden selbst. Wer beide kennt, der weiß, dass beide hochintelligent sind und außerordentlich differenziert denken und reden können, der ahnt, dass es so simpel wohl nicht ist.

Es geht nämlich keineswegs um den Widerspruch zwischen zwei Personen, zwei Parteiströmungen oder zwei politischen Konzepten, zwischen denen sich die Partei nun endlich einmal entscheiden müsse. Sondern es geht um einen Widerspruch, der in der neoliberalen kapitalistischen Gesellschaft selbst liegt.

Beides ist richtig: Die massenhafte Wanderung auf dieser Erde von Süd nach Nord ist ein gigantischer Brain Drain, ein Absaugen der Bildungseliten, eine Abwanderung der Jugend und damit eine schwere zusätzliche Hypothek für die ökonomische und soziale Entwicklung der Länder des Südens. Zugleich ist die Einwanderung eine Erleichterung für Lohn- und Sozialdumping im Norden, also bei uns. Das schürt Ängste, irrationale aber auch sehr rationale. Aber auf der anderen Seite ist die Flucht nach Norden für jede und jeden Einzelnen vielleicht die einzige reale Chance auf ein auch nur ein einigermaßen erträgliches Dasein für sich und die eigenen Kinder oder gar für die Rettung des eigenen Lebens vor Krieg, Hunger, Schikanen und Verfolgung. Diesen Menschen solidarisch zu helfen, mit ihnen zu teilen, ist ein Gebot der für Sozialistinnen und Sozialisten unerlässlichen Menschlichkeit.

Niemanden wird es gelingen, diesen unmenschlichen Widerspruch unter den Bedingungen einer kapitalistischen Welt aufzulösen – auch uns nicht, beim besten Willen nicht. Das ist für mich auch der entscheidende Grund, warum ich niemals den Kapitalismus als das letzte Wort der Geschichte akzeptieren werde. In diesem globalen gesellschaftlichen Widerspruch müssen wir uns als sozialistische Partei verhalten und werden dabei zwangsläufig den derzeitigen politischen Diskurs zwischen Katja Kipping und Sahra Wagenknecht mit wechselnden Namen immer wieder reproduzieren.

Was wir tun müssen, sind drei Dinge:

  1. Diesen unerträglichen Widerspruch vor aller Augen als dem Kapitalismus wesenseigen kenntlich machen und bloßstellen.
  2. Pragmatisch und menschlich handeln, Grenzen so weit wie möglich für viele Menschen öffnen, anstatt abstrakt zu streiten, was genau mit „offene Grenzen“ gemeint sein mag und im Rahmen unserer bescheidenen Möglichkeiten tatsächlich zur Beseitigung von konkreten Fluchtursachen beitragen.
  3. In den notwendigen Diskussionen und Auseinandersetzungen sorgsamer miteinander umgehen, als wir es derzeit tun.

 

 Jens Matthis ist Vorsitzender des Stadtverbandes DIE LINKE. Dresden

Kommentare

Siegfried Hoffmann 05.08.2018, 01:42 Uhr
Gravatar: Siegfried Hoffmann

Ich finde diesen Beitrag sehr gut.

Siegfried 05.08.2018, 01:37 Uhr
Gravatar: Siegfried

Lieber Genosse Jens Matthis, genau das sind auch meine Gedanken. Gut, dass du sie so klar dargestellt hast. Ich werde sie an meine Bekannten weitergeben. Meiner Meinung ist es ein Streit um des Kaisers Bart.

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