von Jens Matthis
„Wer Arbeit kennt und sich nicht drückt, ist verrückt.“ Diesen Spruch lernte ich vor vielen Jahren in meiner Lehrzeit, natürlich nur inoffiziell von den Kolleginnen und Kollegen. Die offizielle DDR-Losung an der Wandzeitung hieß dagegen damals: „Arbeite mit! Plane mit! Regiere mit!“.
So unterschiedlich waren schon vor weit über dreißig Jahren in der DDR die Sichten auf die Arbeit. Der 1. Mai hieß damals offiziell übrigens nicht „Tag der Arbeit“, sondern „Internationaler Kampf- und Feiertag der Arbeiterklasse“. Das klang zwar etwas umständlich, war aber durchaus die sachlich richtigere Bezeichnung.
Schließlich wurde der jahrzehntelange Kampf der Gewerkschaften und der Arbeiterparteien doch eher gegen die Arbeit geführt: Gegen die Sonntags- und Nachtarbeit, gegen die Kinderarbeit, gegen Überstunden, für eine Verkürzung der Arbeitszeit, egal ob es um die wöchentliche Arbeitszeit, um freie Feier- und Urlaubstage, oder um die Lebensarbeitszeit ging. In aller Regel kämpften die Arbeiter*innen für WENIGER Arbeit.
Manchmal ging es freilich auch um den Erhalt und die Sicherung von (Vollzeit-) Arbeit oder um die Schaffung neuer Arbeitsplätze – also um MEHR Arbeit. Gefordert wurde sogar ein Recht auf Arbeit. Nun kann man nach kurzem Nachdenken den scheinbaren Widerspruch auflösen: Jede und jeder sollte eine (Lohn-)Arbeit haben, von der sie oder er (einigermaßen gut) leben kann, wobei diese Arbeit möglichst nicht allzu lang und Zeit fressend , nicht unnötig belastend und nicht vollkommen auszehrend sein soll. Also: Genug Arbeit für alle und dabei möglichst wenig Arbeit für jede/n Einzelne/n.
Geht es nicht eigentlich „nur“ um die Teilhabe am gesellschaftlich erwirtschafteten Einkommen und weniger um die Teilhabe an der gesellschaftlich notwendigen Arbeit?
Die Befürworter*innen des Bedingungslosen Grundeinkommens würden diese Frage bejahen. Es ist zweifellos eine faszinierende Idee, den Genuss der Früchte gesellschaftlicher Produktion aus den Fesseln eines Tauschverhältnisses der Ware Arbeitskraft (Marx) zu lösen. Doch keineswegs stößt diese Idee bei Gewerkschaften und Linken auf ungeteilte Zustimmung, denn es gibt daran durchaus auch ein paar Haken. Der aus meiner Sicht wichtigste Einwand: Um das Arbeitseinkommen kann man unmittelbar kämpfen, für (bessere) Tariflöhne kann man streiken oder zumindest damit drohen. Vorausgesetzt natürlich, man verfügt über eine hinreichende gewerkschaftliche Organisation.
Beim Bedingungslosen Grundeinkommen hingegen ist man auf den Staat angewiesen, den man nur mittelbar alle paar Jahre durch sein Wahlrecht beeinflussen kann. Eben die Möglichkeit, eine notwendige Arbeit auch verweigern zu können, hat der Arbeiterbewegung historisch erst ihre Kraft gegeben – eine Kraft, die in der Geschichte immer wieder über den bloßen Kampf ums Geld hinaus reichte. Die Möglichkeit eines Generalstreikes hat der Arbeiterbewegung auch eine beträchtliche politische Macht jenseits des Parlamentarismus verliehen. Nicht umsonst fordert DIE LINKE in Deutschland ein politisches Streikrecht, welches in Frankreich oder in Italien ganz selbstverständlich ist.
„Mann der Arbeit aufgewacht und erkenne Deine Macht, alle Räder stehen still, wenn Dein starker Arm es will“ war eine Losung der Arbeiterbewegung des 19 Jahrhunderts. Um aber die Räder stille stehen zu lassen, muss der starke Arm den Schalter umlegen können. Um Arbeit (gemeinsam) verweigern zu können, muss man sie erst einmal haben. In dieser dialektischen Tücke liegt wohl gerade heute wieder der rationale Kern obengenannter DDR-Losung, dass das Mitarbeiten auch etwas mit dem Mitregieren zu tun habe. Als die PDS vor Jahren plakatierte „Arbeit soll das Land regieren“ lösten das in den eigenen Reihen viel Widerspruch aus, wurde es doch als Referenz an einen protestantischen Arbeitsfetisch (miss-)verstanden. Zumindest konnte man es auch anders lesen. Der 1.Mai jedenfalls ist als „Tag der Arbeit“ vollkommen zurecht ein „Tag der Nicht-Arbeit“ – gewissermaßen eine Demonstration unserer Macht.
Jens Matthis ist Vorsitzender
von DIE LINKE. Dresden
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