Stadtparteitag wertet Landtagswahlen aus

Am Samstag, den 14.09.2019 fand der Stadtparteitag der Dresdner LINKEN im Rathaus statt. Auf der Tagesordnung stand unter anderem der Punkt „Auswertung der Landtagswahlen vom 1.September“. Nach einer inhaltlichen Einführung durch die Vorsitzenden wurde intensiv über die Ursachen der massiven Stimmverluste bei den Landtagswahlen diskutiert. Gleichzeitig wurden Vorschläge zum weiteren Vorgehen hinsichtlich einer inhaltlichen und strukturellen Neuausrichtung der Partei gemacht. Im zweiten Teil wurde der Zwischenstand der Kooperationsgespräche mit Grünen, SPD und den drei fraktionslosen Stadträten präsentiert und diskutiert.

Dazu Anne Holowenko, Vorsitzende der LINKEN in Dresden:

„Ich freue mich, dass wir mit knapp 130 Genossinnen und Genossen eine sachliche Diskussion über mögliche Ursachen für unser schlechtes Ergebnis bei den Landtagswahlen geführt haben. Es wurde deutlich, dass es keine einfachen Antworten gibt und die detaillierte Auswertung längere Zeit in Anspruch nehmen wird. Gleichzeitig herrschte große Einigkeit darüber, dass es ein „Weiter so“ nicht geben kann. Wir stehen als basisdemokratische Partei vor einem umfangreichen Erneuerungsprozess von unten und müssen dringend unsere Sichtbarkeit auch außerhalb der Wahlkampfzeiten erhöhen. Wir wollen Gutes bewahren und Gewohntes überdenken.“

Jens Matthis, Vorsitzender der LINKEN in Dresden ergänzt:

„Wir sollten den Kern unserer Programmatik, der uns von anderen Parteien grundlegend unterscheidet, die Infragestellung der kapitalistischen Produktions- und Lebensweise, gerade jetzt in den Mittelpunkt stellen. Daraus müssen wir konkrete Konzepte entwickeln. Gesellschaftliche Anknüpfungspunkte gibt es mehr als genug. Erleben wir doch tagtäglich, wie die in den letzten Jahrzehnten durchgesetzten neoliberalen Konzepte versagen, egal ob es um die Gesundheitsfürsorge geht, ob es um die Sicherung bezahlbaren Wohnraums in den Großstädten geht oder um die Organisation eines vernünftigen öffentlichen Verkehrs, von der Lösung der Klimakrise gar nicht zu reden. In allen Lebensbereichen werden nichtkapitalistische Lösungsansätze dringend gebraucht.“

 

Videomitschnitte von Redebeiträgen

Anne Holowenko:

„Wir sollten diesen Rückschlag als Chance begreifen, alles auf den Prüfstand stellen und, wo nötig, unseren Kurs korrigieren.“

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„Wir sollten diesen Rückschlag als Chance begreifen, alles auf den Prüfstand stellen und, wo nötig, unseren Kurs korrigieren. Uns bleibt nicht viel Zeit. Die nächsten Bundestagswahlen werfen bereits ihre Schatten voraus. Es gilt, den Kontakt zu unseren Wählerinnen und Wählern zu intensivieren, um zu erfahren, was die Menschen beschäftigt, wie sie denken und was sie fühlen. Der Blick für die Realität und die ganz alltäglichen Probleme in der Bevölkerung ist Grundvoraussetzung für eine nachhaltige Neuausrichtung unserer Strukturen und Inhalte.“

„Ich denke, es wird deutlich, dass die Menschen üblicherweise zunächst an einer Lösung der Probleme interessiert sind, die sie unmittelbar betreffen. Dazu gehört neben der sozialen auch die gefühlte Sicherheit in ihrem Alltag. Bei Themen wie Inneres und Prävention brauchen wir als Partei ebenso gute Antworten wie im Bereich Bildungs-Gerechtigkeit, Gleichstellung oder Nachhaltigkeit. Erst, wenn die größten Probleme im Hier und Jetzt beseitigt sind, haben unsere Wählerinnen und Wähler den Kopf wieder frei für unsere Visionen einer besseren und gerechteren Zukunft.“

Jens Matthis mit der Analyse der Landtagswahl-Ergebnisse 2019

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„Nach der Kommunalwahl habe ich gesagt, vermutlich wird sich zwischen Kommunal- und Landtagswahl nicht viel bewegen; also wie das 2014 war. Damals galt ich mit dieser Aussage als schlimmer Pessimist. Offensichtlich war diese Aussage dennoch zu optimistisch, denn im Jahre 2019 hat sich etwas bewegt. Und das ist erstmalig eingetreten: Das hatten wir überhaupt noch nicht, dass wir trotz einer steigenden Wahlbeteiligung und trotz mehr Wahlberechtigten bei der Landtagswahl weniger Stimmen hatten, als bei der Kommunalwahl 3 Monate vorneweg. Das hat es so noch nicht gegeben… Wohlgemerkt, ich rede nicht von 5-Jahres-Zeiträumen, was wir da verloren haben, sondern was wir in den letzten 3 Monaten seit der Kommunalwahl verloren haben – fast 1/4 unserer Stimmen.“

„Ich halte es für die weitere politische Arbeit in Sachsen für eine schwere Hypothek, dass in der Landtagsfraktion 5 von 10 Landkreisen nicht mehr vertreten sind - und das bei dem Vorschlag zur Landesliste die Präferenzkandidat*innen aus 6 Kreisverbänden auf den vorderen Listenplätzen übergangen wurden.“

„Ich warne jetzt auch vor Erklärungen, wie ich sie jetzt schon oft gehört habe: »Wir haben ja in Brandenburg und Sachsen ja fast exakt das gleiche schlechte Ergebnis.« - In Brandenburg ist die beliebte Erklärung, es liege nur daran, weil wir in den letzten Jahren dort mitregiert haben. In Sachsen lautet die Erklärung, es liege überhaupt nur daran, dass wir nicht mit Grünen und SPD eine klare Regierungsalternative vorgeschlagen haben. Es kann sein, dass das eine Rolle spielt, aber schon an der Gegensätzlichkeit sieht man, dass es vermutlich nicht so einfach sein kann. Das darf aber im Umkehrschluss nicht dazu führen, sich die Sache schönzureden.“

André Schollbach:

„Wir kämpfen nicht mehr gegen den Abstieg. Wir sind abgestiegen.“

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„Wir kämpfen nicht mehr gegen den Abstieg. Wir sind abgestiegen! – Wir waren ein viertel Jahrhundert in diesem Land die führende Oppositionspartei. Wir waren der Gegenspieler der CDU. … 2004, da hatte DIE LINKE (damals noch als PDS) in Sachsen knapp 24 % geholt. Wir haben 2009 knapp 21 % geholt. Wir haben vor 5 Jahren 19 % geholt. Und jetzt 10,4 %. – Der Abstieg und der Niedergang unserer Partei hat nicht am 1. September begonnen, sondern viel früher.“

„Deshalb muss jetzt unsere Strategie auf den Prüfstand, natürlich auch das Personal – die Leute, die Verantwortung getragen haben. Man kann doch nicht sagen, „Wir machen einfach so weiter.“, in so einer Situation.“

„In Bremen hat es dieses Jahr eine Wahl gegeben. Da hat DIE LINKE zugelegt. Die Bremer LINKE ist mittlerweile stärker als DIE LINKE in Sachsen und dort in der Regierung.“

Tilo Kießling:

„Das Betriebssystem, das in dieser Partei geladen worden ist, ist untrennbar mit Personen verbunden, die in diesem Landesverband seit vielen Jahren etabliert sind und diese Partei genau so aufgestellt haben, wie sie jetzt ist.“

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„Wenn wir feststellen, dass zwischen den Kommunal-/Europawahlen und der Landtagswahl uns scharenweise – scharenweise – Wählerinnen und Wähler auch Richtung CDU abhanden gekommen sind, dann hat das ja etwas mit der Aufstellung unserer Partei im Vorfeld zu tun... [Kontext: LINKE-Verlust nicht nur bei strategischen Erststimmen sondern auch Zweitstimmen]

„Ich bin entsetzt darüber, dass jetzt in mehreren Reden und auch in der öffentlichen Debatte gesagt wird, »Nein, jetzt keine Personaldebatte.« – Damit wird eine Diskussion um die Ursachen dieser Wahl bereits wieder delegitimiert. Denn das Betriebssystem, von dem Caro Lenz hier sprach, dass in dieser Partei geladen worden ist, das ist doch untrennbar mit Personen verbunden – mit denjenigen, die in diesem Landesverband seit vielen Jahren etabliert sind und diese Partei genau so aufgestellt haben, wie sie jetzt ist. Und dann soll man nicht fragen, ob es vielleicht auch an diesen Personen und an diesem installierten Betriebssystem liegt?“

„Da ich ja einer der wenigen bin, die schon mal aus dem Amt zurückgetreten sind [Anm.: Stadtvorsitzender], sage ich euch, das tut gut und befreit auch eine Partei. Und ich denke, man sollte die Leute, die jetzt in Verantwortung sind, eben nicht aus dieser Verantwortung entlassen, indem man ihnen sagt, macht weiter wie bisher.“

Steve Hollasky:

„ ... den Kapitalismus dort packen, wo sein Problem ist – bei der Eigentumsfrage.“

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„Zeiten wie diese brauchen sozialistische Ideen und sie brauchen vor allem eine sozialistische Praxis – jeden Tag, in jedem Wohngebiet, in jedem Betrieb, in jeder Schule und in jeder Universität. Und in dieser Zeit laufen uns, gerade uns, Wählerinnen und Wähler weg und das ist ein riesiges Problem. Jugendliche gehe eher zu den Grünen, gerade zu den Grünen, die für Sozialabbau, für Hartz IV, für Kriege, für Privatisierungen und – in den Regierungen, in denen sie beteiligt sind – auch für Abschiebungen stehen. Doch die Frage ist, warum passiert das? Und die Wahrheit ist, dass unsere Bereitschaft vielleicht sogar um jeden Preis mit SPD und Grünen in die Regierung zu gehen, uns bei vielen in der Bevölkerung, gerade auch in meinem Stadtteil in Gorbitz, hat aussehen lassen »wie eine von denen da oben«, wie eine Partei aus dem Establishment.“

„Wir haben es verlernt, Kämpfe zu organisieren und genau das müssten wir tun.“

„Wenn wir nicht versuchen, den Kapitalismus dort zu packen, wo sein Problem ist – nämlich bei der Eigentumsfrage, dann werden wir auch nicht in der Lage sein, unsere Wahlergebnisse zu verbessern. Wenn die AfD versuchen will, den Klassenkampf von oben zu organisieren – und das will AfD und auch die CDU – wenn sie in Sachsen Sonderwirtschaftszonen nach chinesischem Vorbild verlangt, in denen Unternehmer tun können, was sie wollen, in denen die Rechte von lohnabhängig Beschäftigten geschliffen werden, wenn sie das wollen, dann organisieren sie den Klassenkampf von oben und wir müssen den Klassenkampf von unten organisieren.“

Jenny Kunkel:

„Wir haben unsere Rolle als Vertreter einer einkommensschwachen Bevölkerung verloren, obwohl sich an unserer Programmatik nicht viel verändert hat. Das kann man mit taktischem Wahlverhalten allein nicht erklären.“

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„Die AfD hat in den genannten Stadtteilen [Plattenbaugebiete Gorbitz-Süd und Gorbitz-Ost] dresdenweit die größten Stimmenzuwächse. Während der gesamte Wahlkreis 46 mit 7,6 % leicht unter dem landesweiten Verlust liegt, verloren wir in den beiden Gorbitzer Stadtteilen fast das Doppelte. Im Plattenbau Prohlis [Wahlkreis 42] sieht es übrigens ganz ähnlich aus. Das inzwischen mehr studentisch geprägte Löbtau hatte nur rund 4 % Stimmenverlust… Ich habe mich auf die Ereignisse in den Plattenbaugebieten konzentriert, um noch einmal deutlich darauf hinzuweisen, dass wir unsere Rolle als Vertreter einer einkommensschwachen Bevölkerung verloren haben – und zwar, obwohl sich an unserer Programmatik nicht viel verändert hat. Das kann man mit taktischem Wahlverhalten allein nicht erklären.“

„Ich möchte jetzt nicht missverstanden werden. Ich stehe hier vollkommen hinter unserer grundsätzlichen Solidarität für Geflüchtete. Wir dürfen jedoch eines nicht außer Acht lassen: Die seit vielen Jahren laufende Verdrängung einkommensschwacher Menschen an die soziale Peripherie – und die sich dadurch ergebenden, sozialen Konflikte – haben sich mit der Zuwanderung Geflüchteter in genau diese Wohngegenden noch verstärkt; und eben kulturelle Konflikte hinzugekommen sind. Die Menschen vor Ort registrieren sehr genau, wem die Verantwortung für Sozialisation und Integration der Migranten im täglichen Leben, zugeschoben wird. Während in den feinen Gegenden von Dresden das Leben seinen gewohnten Gang geht, haben sich in den Plattenbaugebieten die sozialen und kulturellen Konflikte und Spannungen verschärft. Das ist nicht die Schuld der LINKEN, aber wir haben es auch es nicht vermocht, hier argumentativ dagegenzuhalten, geschweige denn dieses Problem politisch in Mittelpunkt zu rücken. Das haben wir leider der AfD überlassen.“